Dummheit ist ein Sozialprodukt
Mir kommt es so vor, als würden bei jeder größeren Krise ein Haufen (linke) Leute umfallen. Aus den größten Kapitalismuskritikern werden auf einmal Regierungs(erklärungs)gläubige.
Ich erinnere mich an den Krieg gegen Jugoslawien aber auch an den gegen den Irak. Weitere größere, vielleicht die größte, Umfallaktionen gehen über 100 Jahre zurück, sind aber gut im Gedächtnis.
Wie kommt so etwas? Warum lernen die Leute aus der Geschichte nicht, wem sie Vertrauen können und wo ein gesundes(!) Misstrauen nicht schaden kann?
Da könnte es eine psychologische/soziologische Erklärung geben, dass der Druck, der auf den Menschen lastet, so groß ist, dass sie irgendwann dem "befreienden" bzw. entlastenden Gefühl nachgeben: dazu zu gehören. In der Masse auf- und untergehen!
Alles andere ist mühsam, und viele, die ein ganzes Leben kämpfen, gibt es nicht.
Wenn man schon nicht (mehr) zu entscheiden hat, dann wenigstens die von Oben gefällten, enthusiastisch begrüßen; Identifikation mit der Macht ist doch besser als ohnmächtig?
Man könnte den Eindruck jetzt wieder haben, dass die Aufklärung immer wieder bei 0 anfängt. Warum soll man der Regierung und ihren handverlesenen Wissenschaftlern nicht glauben? Zumal ihr sirenischer Gesang aus allen Kanälen einem entgegen klingt und lockt?
Der Schreiber dieser Zeilen hatte das "Vergnügen" auf einem Wirtschaftsgymnasium sein Abitur zu machen. Das war, wenn man in der Realschule nicht ganz schlecht war, eine Möglichkeit das Abitur zu machen und vielleicht sogar zu studieren. Der Preis, den man dafür zu zahlen hatte, war, dass man 6 Stunden BWL hatte, und 6 Stunden in der Wochen das Hohelied der freien Marktwirtschaft eingetrichtert bekam. Dass diese ein großer Unfug, ein großer Schwindel oder Betrug war, konnte man zuerst ahnen, dann wurde es immer deutlicher. Die Propaganda vom Jeder-ist-seines-Glückes-Schmied usw. prallte, wenn nicht am rudimentär vorhandenen Klassenbewusstsein, dann doch an der sich schon entwickelnden Vernunft ab. Unvergesslich der Vergleich mit den Lokalen in der DDR, wo die Kellner faul sind und man warten muss, und bei uns, wo der Kunde König ist! Wenn Erfahrung Ideologie wenigstens differenziert, Standpunktwechsel usw., dann hier, war man doch für ein Leben als Kellner und nichts als Restaurantbesitzer vorgesehen.
Manchmal findet man nicht ein Buch, sondern ein Buch findet einen, wo immer die Freude größer sein mag, groß ist sie allemal. Das Buch von Kreiß und Siebenbrock " Blenden Wuchern Lamentieren" ist für einen wie mich eine kleine Offenbarung. Und es passt wunderbar in die Zeit. Denn es geht um die Frage, warum wir unserer neoliberalen Regierung vertrauen sollten, v.a. Leuten wie Spahn oder Klöckner usw.?
Da ist es gut, den Glauben zu erschüttern, wir würden in einem Rechtsstaat leben und es gäbe Demokratie in der westlichen Welt. (Gibt es schon - aber nur ein bisschen und sehr ungleich verteilt, das "Recht" z.B.).
Natürlich ist es nicht logisch: Beispiele widerlegen keine allgemeine Regel oder doch?
Was ich nicht kannte, ist die: General Motors Streetcar Conspiracy (Straßenbahn-Verschwörung). Und könnte die moderne Variante nicht Dieselskandal heißen, einen grünen Ministerpräsidenten und eine entsprechende Regierung haben, alles mit dem gewünschten Ergebnis: Alles für das Auto, bzw. die Autoindustrie bzw. deren Besitzer? (Und niemand zählt deren Leichen.)
Ich muss bei der Dame dauernd auf die Leiter klettern und Glühlampen auswechseln; was hat das nun mit dem Phoebus-Glühlampenkartell von 1924 zu tun?!
Wie fielen denn die Strafen letztendlich im Prozess gegen die vielleicht und bisher größte Verschwörung(!) gegen die Gesundheit der Menschen aus - im Prozess gegen die Zigarettenindustrie?
Und als letztes kleines Beispiel, wie soll man einer Industrie vertrauen schenken, die von der Krankheit der Menschen lebt, deren Tod der gesunde Mensch wäre, und die zweimal so viel Geld für Werbung als für Forschung und Entwicklung ausgibt und deren Geschichte bis zum geliebten Robert Koch voller Skandale ist?
Im Buch findet sich noch mehr: Wer erinnert sich an "Nestlé tötet Babys" und fand die Geschichte ein happy-end? Oder kaufen Sie noch heute deren Produkte?
Man könnte noch lange so weiter machen. Aber, nun doch zum Schluss, eine kritische Anmerkung: Ich glaube nicht, dass das ganze Elend in der Ideologie der "Gewinnmaximierung" begründet liegt, da müsste man schon tiefer graben. (Ich habe in der Schule als Gegengift angefangen die blauen Bände (MEW) zu lesen!) Aber es schadet auf keinen Fall, das zu glauben, besser als die Dummheit zu schlucken, die einem in diesem Studium serviert wird und auf allen Kanälen tagtäglich versendet. Ein bisschen Moral kann nicht schaden.
Es gibt einen Preis, den diejenigen zahlen müssen, die der herrschenden Ideologie auf den Leim gehen, das war z.B. früher und in meiner Schulzeit der Glaube, die Banker wären ehrliche Leute. Da wurde ordentlich Lehrgeld gezahlt, freilich einmal mehr niemand zur Verantwortung gezogen.
Wer sich nicht ganz dumm manchen lassen will, sollte BWL und die damit verbundene herrschende neoliberale Ideologie in Zukunft mit "Blenden Wuchern Lamentieren" übersetzen; mit ein bisschen Fantasie findet man noch mehr Wörter dafür.
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Kreiß, Christian und Heinz Siebenbrock: Blenden Wuchern Lamentieren. Wie die Betriebswirtschaftslehre zur Verrohung der Gesellschaft beiträgt. Europa Verlag 2019
siehe auch:
https://menschengerechtewirtschaft.de/wp-content/uploads/2020/08/Buch-Gekaufte-Wissenschaft-pdf.pdf
(geschrieben 11/2020)