Klimawandel und Aussichten
Ein interessanter Artikel in der FAZ über den Semmering (17.8.) war nicht der Anlass, diesen einmal aufzusuchen, d.h. auf der Durchreise im Bio-Hotel von Herrn Wagner Station zu machen. Das war eher ein Abend mit Erika Pluhar, an die sich die Älteren, v.a. Frauen, vielleicht noch erinnern.
Das Konzert fand im ehemaligen Südbahnhofhotel im Rahmen des Kultursommers statt, in dem auch ein Kapitel aus Karl Kraus' Mammutwerk, "Die letzten Tage der Menschheit", ein Werk von einiger geradezu zeitloser Aktualität, spielt, in der sogenannten Welt der Reichen und Schönen, wobei letzteres zumindest auf einem Missverständnis beruht. Die Reichen halten sich zwar für schön, sind es aber immer weniger, dafür sorgen schon die Schönheitschirurgen.
Aber zurück zum Konzert: Im Gegensatz zu den Hochkulturveranstaltungen in Salzburg gab es hier keine Maskenpflicht, nachdem man am Eingang das 3-G Elend absolviert hatte. Und das, wo der Altersdurchschnitt mit Salzburg durchaus vergleichbar ist, weniger die Eleganz, das ist ein anderes Publikum.
Mit dem kleinbürgerlich larmoyanten Sprechgesang von Frau Pluhar kann der unbedarfte Schreiber dieser Zeilen nicht viel anfangen; in einer früheren Geschichte der Frauenemanzipation spielte sie wohl eine gewisse Rolle, heute ist das Nostalgie, deren temporäre Berechtigung wir nicht bestreiten wollen.
Sehenswert ist diese Südbahnhofhotel-Ruine auf alle Fälle. Auch wenn der frühere Glanz schwer imaginierbar ist.
Der heutige Glamour ist vielleicht Bio? - z.B. im Hotel Wagner, wo auch uns Herr Wagner an seiner Vision vom der Rückkehr des Semmerings zu altem und neuem Glanz ausführlich teilhaben lässt. Er will kein Krisengewinnler der Klimakatastrophe sein, leistet i.G. seinen Beitrag dazu bzw. dagegen, indem er für Nachhaltigkeit eintritt und in seinem Hotel alles Bio ist.- Wie die Filzlatschen, die man anziehen muss, wenn man sein Zimmer betritt, am alten Glanz teilhaben wollen, erschließt sich freilich kaum, "Bio" hat es schwer sich vom grünen (pietistischen) Verzichts-Asketismus zu lösen und ist noch weit von Glanz und Gloria entfernt. Wie soll "Bio" auch Tempo geben, wenn, wie unsere Freunde mit dem hochsubventionierten E-Auto, Reichweite etwas über 200 km (80 Prozent!), von Berlin aus anreisen, und entsprechend öfters Station machen müssen. Bei der Fahrt stellen sich dann diese Fragen, ob man Radio hören darf, das kostet Strom, oder das Licht anmachen usw. Auch bei den E-Zapfsäulen trotz App geht es nicht ohne Glück und viel Geduld. (Ein weiteres schönes Beispiel wie man Leuten "Öko"-Mist aufschwatzt, der "natürlich" keiner ist, aber das wäre ein anderes Thema.)
Die Betten sind im Hotel sehr gut, v.a. die Matratzen, die einen von der Zukunft des Semmerings träumen lassen... Übrigens gibt es dort auch überraschend gute italienische Pizzen. Nicht im Hotel, aber in einem Lokal. Im Hotel kann man wunderbar auf der Terrasse sitzen, Herr Wagner, der zum Glück Josef und nicht Richard mit Vornamen heißt, empfiehlt einen ausgezeichneten Weißwein eines lokalen Winzers, den ich nur empfehlen kann. Seymann, Niederösterreich, Grüner Veltliner. (Ich verdiene an dieser Werbung leider nichts, habe mir meine Flasche einen Tag später gekauft. Der Winzer macht einen sympathischen Eindruck.)
Ob Herrn Wagners Zukunfts-Pläne und Ideen zur Rekultivierung des Semmerings aufgehen, erscheint fraglich. Auch wenn der Artikel in der FAZ zum Thema im Wirtschaftsteil erschien, wo es um "Unternehmen" geht, das sind Hotels freilich auch.
Wobei ganz ungetrübt ist die Freude nicht, da es beim großartigen Frühstück leider auch nur einen Kaffeeautomaten gibt. (Das scheint unser Schicksal, auch wenn ab und an noch Filterkaffee in Thermoskannen in guten Hotels angeboten wird.)
Der Bahnhof und die Zugstrecke sind bekannt und allemal eine Fahrt wert. Für Wiener ein Katzensprung.
Ich glaube freilich, dass die Zukunft des Semmering nicht mit seiner Vergangenheit vergleichbar ist, nicht nur wegen der Rolle der Juden und der von ihnen geprägten Kultur, die es nicht mehr gibt. Dabei schwärmt Herr Wagner davon, dass früher auch die Dienstboten mit auf den Semmering genommen wurden, ja die durften sogar ihrer Verwandten mitbringen und dort haben dann alle gelebt und sich erholt. Hier kommt eine Ideologie zum Vorschein, die wir nicht teilen und an die wir nicht glauben, gute Herrschaften gab es damals so wenig oder viel wie heute. (Nur ein toter bzw. besser: wegrevolutionierter König ist ein guter König usw.)
Die Superreichen werden nicht kommen, ob es ein Getto für Reiche wird? Eher fraglich und die (obere) Mittelschicht hat schwierige Aussichten, auch gibt es keine hegemoniale Kultur (Tanztee) mehr.
Freilich mag auch hier irgendwann die 1 G.-Regel gelten: wer Geld hat darf herein, der Rest arbeitet weiter daran, dass das so bleibt. (Und die österreichische und unsere Regierung arbeiten schwer an der Durchsetzung dieser Regel.)