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Die Spanische Grippe

Veröffentlicht am 04.03.2022

1918. Die Welt im Fieber

Bei meinem Versuch, die gegenwärtige Pandemie zu verstehen, bin ich, wie ich ja schon schrieb, auf die sogen. Spanische Grippe gestoßen. Gina Kolata hat der Jagd nach dem Virus ein spannendes Buch gewidmet, das einen guten Einstieg in das Thema bietet.

Nun könnte man sich fragen, warum noch ein zweites Buch zu dem Thema lesen? Darauf gibt es viele Antworten, die man zum Teil an den Rezensionen meiner Opernbüchern in anderen Zeiten erkennen kann. Jeder Autor, hier besser Autorin, behandelt das Thema etwas anders, auch wenn einem bei Spinneys Buch schon manches bekannt vorkommt.

Ihr Buch gilt weniger der Jagd nach dem Virus und der Medizingeschichte im engeren Sinne, als dass sie vielmehr, mitunter sehr "literarisch", eine Art kurzer Weltgeschichte der Spanischen Grippe bietet.

Man hat dabei kaum das Gefühl, dass sie etwas ausgelassen hat, auch wenn das Buch "nur" 384 Seiten hat. Stattdessen lernt man noch mehr dazu. Sie stellt Fragen etwa nach dem schwachen Widerhall dieser Katastrophe in Kunst und Kultur, während doch andere Krankheiten ihren Roman gefunden haben. (Klar, dass einem jetzt sofort die TBC und der "Zauberberg" einfällt.)

Besonders Themen wie die psychischen Folgen der Krankheit, "erlernte Hilflosigkeit", wie auch die medizinischen sind spannend und werfen Fragen auf, wie das bei uns gehandelt wird. (Von den sozialen schweigen wir lieber.)

Wobei es überraschend ist, wenn die Autorin, wie in meinem letzten Text auch Thema, auf die Präventionsbemühungen der letzten Jahre eingeht. "Die Erfahrung hat gezeigt, dass Vorschriften wenig Akzeptanz finden, und freiwillige Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge dann am effektivsten sind, wenn individuelle Entscheidungen respektiert und Polizeigewalt vermieden werden." Das ist lustig, denn daran wird sich wenig gehalten (weltweit und regional), statt dessen wird uns als nächstes schon mit der Impfung für Alle gedroht, obwohl doch ganz unklar ist, wann die kommt, und was die tatsächlich bewirken wird. (Aber das wäre ein anderes Thema. Wobei ich selbstverständlich, wie jeder vernünftige Mensch für bestimmte Impfungen bin, aber das ist eben was anderes. Wir werden sehen.)

Auch dieses Buch beschreibt folgendes: "Die Grippe mag demokratisch gewesen sein, wie es ein französischer Historiker formulierte, doch die Gesellschaft, die von ihr heimgesucht wurde, war es nicht: Ein Viertel aller Frauen, die in Paris starben, waren Dienstmädchen."

Leider gibt es zu diesen Themen wenige Studien, und ob diese in Herrn Drostens PC landen und Gegenstand seiner öffentlichen Vorlesungen wären, wer kann das sagen?

"Tatsächlich schwächten schlechte Ernährung, beengte Lebensverhältnisse und mangelnder Zugang zur Gesundheitsversorgung die Konstitution und machten Arme, Migranten und ethnische Minderheiten anfälliger für die Grippe."

Gelegentlich wird Spinney wirklich literarisch, z.B. in folgender Beschreibung des Krankheitsverlaufs:

"Nach kurzer Zeit litten die Patienten an Atemproblemen. Auf ihren Wangen erschienen zwei mahagonifarbene Flecken, und binnen weniger Stunden breitete sich diese Röte übers ganze Gesicht aus, »bis man«, wie es ein US-Militärarzt beschrieb, »Farbige kaum noch von Weißen unterscheiden konnte«. Ärzte bezeichneten diesen erschreckenden Effekt als »heliotrope Zyanose«. Sie versuchten, die Farbe so präzis zu beschreiben, wie es sonst nur Bordeaux-Weinhändler tun, weil sie glaubten, kleine Änderungen des Farbtons seien hilfreich für die Prognose. Einem Arzt zufolge handelte es sich um »ein intensives rötliches Pflaumenblau«. Solange Rot vorherrschte, bestand Anlass zu Optimismus. Sobald sich jedoch »eine violette, lavendel- oder malvenfarbene Nuance ins Rot mischte« waren die Aussichten düster. Und Blau verdunkelte sich zu Schwarz."

Nun ja, oder, auch nett, über die Bemühungen der Ärzte: es wurden "zahllose nichts ahnende Tiere infiziert".

Da ihr Buch neuer ist, sind die darin vermittelten Erkenntnisse über die Entstehung von (neuen) Pandemien oder einer neuen Influenza vermutlich auch dem Stand der Wissenschaft auf dem Fuß.

Man stelle sich vor, in 100 Jahren wird ein Buch über unsere Bemühungen mit der gegenwärtigen Pandemie fertig zu werden geschrieben. Was wird dann die zukünftige Autorin schreiben? Die antiviralen Medikamente gab es erst nach dem zweiten Weltkrieg: "Doch angesichts keuchend nach Luft ringender Patienten mit blau angelaufenen Gesichtern mussten sich die Ärzte irgendetwas einfallen lassen, und so entschieden sie sich für einen polypragmatischen oder polypharmazeutischen Ansatz: Sie verordneten alles, was der Arzneischrank hergab."

Da sind wir zum Glück weiter!?

 

Spinney, Laura: 1918. Die Welt im Fieber. Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte (2018), 384 Seiten

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Der Text stammt aus dem Jahr 2020

 

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