Was gespielt wurde, war nicht so wichtig, wichtiger erschien uns, mal diese sehr empfohlene Oper von innen zu besichtigen - und die Menschen dort.
Samstag Abend, Anfang Oktober „Don Pasquale“ ist nicht ausverkauft, aber gut besucht. Donizetti ist eher leichte Kost, deshalb sehr bekannt, die Inszenierung mäßig modern aber durchaus ansprechend. Hervorragende SängerInnen und ein gutes Orchester. Sogar die Arbeiterklasse im Blaumann erscheint als Handwerker auf der Bühne!
Mein Eindruck: Die Verdrängung des Bargelds ist in Barcelona und Katalonien weiter vorangeschritten, manches muss man mit Karte bezahlen, viel wird damit bezahlt.
Die Bestellung des Pausengedecks verläuft erstaunlich schnell und reibungslos, man ist auf Englisch und Touristen eingestellt, die deutsche Sprache findet man auf Speise- und ähnlichen Karten nicht, wenn doch unter der russischen Übersetzung. Auch wenn die Russen im Moment fehlen. Chinesen haben wir keine gesehen.
Don Pasquale wird in dem Stück ein wenig Moral beigebracht, Geld ist eben nicht alles, zumindest in der Oper will es diesmal so scheinen. Die Besucher werden es besser wissen.
Was ich noch nicht in der Oper erlebt habe, war der extreme Narzissmus einiger (weniger) junger Paare. Überhaupt ist das Smartphone hier viel gegenwärtiger und der Umgang damit aggressiver als gewohnt. Wir hatten unseren Tisch mit dem passenden Getränk, als ein junger Mann der Arm weit von sich gestreckt, mir denselben, aus dem Gedränge heraus, unter die Nase hielt um sich und seine Freundin zu fotografieren. Da durchzuckte eine Vermutung mein unterversorgtes Gehirn: Ist dieser ausgestreckte Arm die Fortsetzung des ausgestreckten vor nicht allzu langer Zeit in D.? Heute wird niemand, und kein Führer, damit gegrüßt, sondern das narzisstisch isoliertes Individuum grüßt sich selber und die einsame Masse anschließend als Influenzer der eigenen Bedeutungs-, Sinnlosigkeit?*
Die Oper macht Eindruck, sechs Ebenen und ca. 2300 Plätze. Zum Vergleich: In Stuttgart bietet die Oper etwa 1400 Plätze an. Aber das heißt natürlich eine fortschrittliche Weltstadt mit einer Provinzhauptstadt, deren Markenzeichen ein Waschlappen sein sollte, da bieten sich viele Modelle an, zu vergleichen.
Die Kleidung der Opernbesucher war den warmen Temperaturen angepasst, Garderobe im höheren Sinne setzt soziale Kälte (Distinktion) und physische angenehme Kühle (Nerzmantel, Anzüge etc.) voraus, freilich sollten die Damen nicht am Dekolleté (er-)frieren. Natürlich(?) macht man sich gerne schön, aber das ist vom sich herausputzen mit (un-)sozialem Sinn nicht mehr zu unterscheiden.
Übertitel waren natürlich in Landessprache, auf dem Rücksitz der Lehne vor mir, auf Gesäßhöhe war ein kleiner Bildschirm auf dem man einer Übersetzung des Operntextes ins Englische folgen konnte. Ich habe diese Art Untertitel in Berlin schon besser erlebt, direkt oben auf dem Rücksitz des Vordermannes. Letzteres Verfahren hat den Vorteil, dass der Blick nicht so sehr hoch und runter rast, um Bühnenbild und Text zu folgen. Da die Opernhandlung auch in diesem Fall mehr Anlass zur Musik bildet, war es leicht sich gegen die Untertitel und für die Handlung zu entscheiden. Ohnehin ersetzt diese Titelei nur die mangelnde Vorbereitung auf den Opernbesuch. Übrigens, soweit ich das verstanden habe, gab es dort kein gedrucktes Programmheft mehr, das wir gerne gekauft hätten, sondern einen Download…
Erwartungsgemäß gab es auch in dieser Menschenansammlung der sozial Bessergestellten, einige, die sahen aus, als wären sie aus der Franco-Zeit übrig geblieben. Jugendliche, die schon jetzt mit Nadelstreifenanzug und Krawatte aussehen, als hätten sie sich als konservative Bankdirektoren beworben. Ich vermute, hier muss man kein Gendern befürchten, auch wenn ansonsten auch allerhand Gemischtes zu sehen war. (Gegendert, XYZ usw. wird dort eher im Boudoir.)
Auf meinen Spaziergängen habe ich eine lange Menschen-Schlange entdeckt vor einem Ort, wo ich ein Kino vermutete. Aber wer geht am Vormittag um 11 ins Kino? Oder war da ein Store mit einem Fußballer, der Autogramme gibt? Das Rätsel blieb tagelang ungelüftet, und ich erfreute mich schon an dem Gedanken, in einer fremden Stadt zu flanieren, auch wenn die Schaufenster und Einkaufsläden erschreckend ähnlich wirkten. Die Dame lüftet schließlich das Geheimnis mit Hilfe unseres Hotelrezeptionisten: Es ist eine Warteschlange vor einem Apple-Store, wohin die Leute pilgern, wenn sie eine Problem mit ihrem Gerät haben. Das ist interessant: da „Apple“ sicher von der Schlange weiß, man kann sich auch einen Termin dort geben lassen. Während ich denke, dass solche Geräte nichts taugen können, scheint die Schlange geradezu Werbung dafür zu machen. (Kann denn die Masse irren?!) Vielleicht haben wir beide recht.
* Möglicherweise wird aber auch der neue Führer damit gegrüßt, heißt er nun google, amazon, apple, pfitzer oder windows usw.