und die reine Vernunft
Kürzlich kam eine ältere Frau zu meinem »Schalter«, den ich in einer kleinen Bibliothek bewache, und fragt mich, ob ich den Rauch rieche? Sofort bin ich elektrisiert, und bereit, den Brandalarmknopf zu betätigen, den es leider in meiner Nähe nicht gibt. Ich roch freilich nichts?! Sie erklärte mir dann, dass sie mit Rauch den Zigarettenrauch meinte, den ich freilich auch nicht roch. Dann erklärte sie mir, dass sie eine empfindliche Nase hätte, was bedeutet, meine wäre das nicht! Und direkt vor unserer Eingangstür rauchten welche! Ich schaute wohl etwas verwundert, sie fuhr wie fort, sie hätte auch mal geraucht, ihr Vater, ein starker Raucher, sei sogar an Lungenkrebs gestorben. Und hier ziehe der Rauch ins Gebäude, man solle doch die Raucherecke weiter weg platzieren.
Ich munterte sie mit der Geschichte auf, dass ich in der Zeitung gelesen hätte, dass in irgendeinem Land, ich habe vergessen welches, das Rauchen bald ganz und für alle Zeiten verboten werden soll. (Ich hatte nur die Überschrift gelesen, und mir die Geschichte passend gemacht.) Sie war sofort Feuer und Flamme für diese „Initiative“. Ich gab freilich zu bedenken, dass ehemalige Raucher häufig viel intoleranter seien als lebenslange Nichtraucher.
(Ich habe meine Geschichte falsch aufgebaut. Denn erst jetzt gestand sie, dass sie eine ehemalige Raucherin mit diesem Vater war.) Zurück in die missglückte Chronologie der Ereignisse: Ich also gestand, dass ich als Nichtraucher, es übertrieben fände, die Raucher so »totalitär« zu verfolgen. Nun, wie üblich rettet sich der kleine Angestellte vor solchen Vorschlägen, indem er auf seine Vorgesetzten verweist, denen er die Anregung gerne weiter reichen wird, er selber sei freilich leider machtlos.
Da ich gerade ein Buch lese, das es bei uns leider nicht gibt; das passiert mir öfters, habe ich nach einem Ansatzpunkt für Robert Pfallers »Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft« gesucht, stand doch ein Exemplar des schwäbischen Pietismus vor mir. Natürlich hätte ich auch zustimmen können, aber der Verfolgungswahn dieser Leute, wo hört er auf? Als bekennender Wein-Trinker muss ich doch damit rechnen, dass das Gesundheitsregime als nächstes sich die Trinker vornimmt; dann gibt es eben in der Gastwirtschaft nur noch als Höchstmenge 0,2 Wein, und, um die Kinder zu schützen, in vorerst abgetrennten Räumen zu trinken. Natürlich wird er ordentlich verteuert, aber das wird er ja sowieso. Man könnte auch entsprechende Aufkleber auf die Weinflaschen aufbringen; z.B. Obdachloser in der Gosse mit einer Flasche in der Hand, natürlich auch die klassische Alkoholleber. Die PR-Firmen, die uns gerade den Ukraine-Krieg verkaufen, hätten hier ein weiteres nützliches Betätigungsfeld. (Unvergesslich hier Hill & Knowlton. Kleine Hilfe: Irakkrieg!)
Die reine Vernunft, die Pfaller beschreibt, im Kampf gegen das »schmutzige Heilige«, gegen das Mondäne, Spielerische, Glamouröse, hier im Schwabenland, im Lande des eiskalten Waschlappens, der der Sinnlichkeit Mores lehrt, nun, wir sind da schon viel weiter, weswegen wir auch einen Grünen* als Ministerpräsidenten haben.
Wir haben bewiesen: »Durch das Verbot können Regierungen die begründeten Ängste und Empörungen der Bevölkerung auf einen Nebenschauplatz umlenken, von ihrer eigenen zunehmenden Ohnmacht, Willfährigkeit und Passivität gegenüber dem transnationalen Kapital ablenken – und nicht zuletzt auch testen, wie viel Leute sich eigentlich, ohne aufzumucken, gefallen lassen«, dass die Leute sich alles gefallen lassen, als nächstes werden der Strom und die Heizung mal für eine Weile abgestellt, das wird doch ein viel größerer Spaß als die Verwandlung der Faschingsmaske (inzwischen no-go) in eine FFP2. Selbige freut sich bei meinen höheren KollegInnen immer noch großer Beliebtheit, weswegen ich auch glaube:
»Gerade auf die postmoderne reine Vernunft, die immer gerne Deleuze zitiert, trifft eine nietzscheanische Formulierung von Deleuze zu: diese reine und ständig um Sauberkeit bemühte Vernunft ist ‚nicht mehr als eine Bestandsaufnahme aller Gründe, die der Mensch sich gibt, um zu gehorchen‘«, ja, die Leute gehorchen zu gerne.
Pfaller, Robert (2009): Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur, Fischer Taschenbuch Verlag
* Ein Grüner, etymologisch freilich fraglich, war in meiner Jugend etwas, das man sich im Rachen zusammenzieht und dann mit großem Verve irgendwohin, möglichst weit weg, platziert. Da gab es regelrechte Wettbewerbe! Keine Ahnung ob z.B. in Norddeutschland man das Ausgespuckte so nannte?
PS: Das wusste schon Karl Kraus: »Daß die alte Dummheit noch lebt, diese Erkenntnis quillt täglich aus allen Poren unseres Staatswesens: braucht man sie dadurch zu beweisen, daß man sich anstrengt, neue Dummheiten zu ersinnen?«
Noch was: Für die reichen Zürcher, da geht noch allerhand:
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