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Wer schweigt, stimmt zu

Veröffentlicht am 31.03.2022

und lebt davon

Die FAZ hat unlängst (8.2.) an Theodor Lessing erinnert, eines der ersten Opfer der Nazis. Ein Unbequemer. Erinnert wird dort auch an jene treffliche Formulierung, dass hinter einem Zero immer auch ein künftiger Nero verborgen sein kann. Zeros haben wir bei uns ja genügend in der Politik oder den Medien, also wird es auch an Neros keinen Mangel geben, wenn wir erst das Raketenschild haben.

Doch auch wenn der Massenmörder Haarmann erwähnt wird, dessen Prozess Lessing aufmerksam verfolgte, auch eine spannende Geschichte über die Justiz, so fehlt in der FAZ natürlich etwas.

„In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts war der Film das Medium für Unsterblichkeit, Ruhm und Größe, das entging auch einem Massenmörder nicht. Seine größenwahnsinnigen Reden gegenüber dem psychiatrischen Gutachter, sein geschärfter Sinn fürs Geschäftemachen mit den Bluttaten wiesen ihn als einen Mann aus, der auf der Höhe der Zeit war, der die Verwertung von Sensationen nicht der Presse und dem Film allein überlassen wollte. Die Kausalität zwischen Mord und Mordsgeschäft war für Haarmann ein Indiz, daß seine Taten nicht umsonst geschehen waren, und er wußte auch, daß er ‘geköppt’ werden mußte, damit sein geplanter ‘Roman’ (dürftige Aufzeichnungen über seine Lebensstationen) ein Kassenschlager werden konnte. So verband sich Schaugeschäft und mit dem Schlachthof, Reflex einer mörderischen Zeit, in der Presse und Film bereits die Züge der Unterhaltungsindustrie angenommen hatte.“

Und natürlich Lessings kulturhistorisch interessantester Gedanke, was denn der Unterschied sei, ob im Weltkrieg das Abschlachten für den höheren Zweck (für Gott und Vaterland) betrieben wurde, oder kurz danach von Haarmann zum Privatvergnügen?! Aber dererlei Gedanken passen nicht in eine Zeit, die täglich aktueller werden.

Zurück zu den Zeros und damit zur Corona-Politik. Ulrike Guérot hat ein Essay veröffentlicht mit dem sprechenden Titel:

„Wer schweigt, stimmt zu. Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollen.“

Ein zorniger Versuch doch noch eine gesellschaftliche Debatte zu führen über das, was in den letzten beiden Jahren so schief gelaufen ist, bzw. auf eine schiefe Ebene geraten, dazu ihr letztes Kapitel und dem follow the money: In Richtung eines digitalisierten und kontrollierten Lebens, das viele nicht wollen. Umgekehrt: wir wollen unser analoges Leben mit gesellschaftlicher Teilhabe und -nahme für alle zurück!

Das Buch enthält wenig Zahlen, sondern ist eine argumentative Bestandsaufnahme zu den Fehlern, Übertreibungen, Verwüstungen der Maßnahmenpolitik und eine Anklage gegenüber einem Bürgertum, das das duldete oder aktiv mitmachte, obwohl man es mit ein bisschen Geist besser hätte wissen können oder wusste/ahnte. Versagt hat die bürgerliche (oder formale) Demokratie in ihren wesentlichen Säulen: Medien, Justiz und Universitäten. (Sie ist Politikprofessorin). Soweit so bekannt, was nicht heißt, dass man das nicht immer wieder wiederholen muss, entweder bis man selber mundtot gemacht wird oder sich etwas ändert. Dabei immer wieder Hannah Arendt, aber eine andere als sie bei unserem glaubensfesten MP Kretschmann herumgeistern mag. Niemand hat das Recht zu gehorchen, aber die „Guten“ haben es daraus gemacht, die Solidarität erfunden, die darin besteht, dass die Mittelschicht sich von der Arbeiterklasse die Pakete ins Haus liefern läßt, zu Amazons Bedingungen, und in ihrer Vereinzelung ihr dystopisches Zukunftsmodell lustvoll vorwegnahm.

Die nicht ganz helle Linke, die in der Mittelschicht und den Parlamenten Zuhause ist, fiel auf den Solidaritätsschwindel herein, schließlich gehört sie ja dazu, auch wenn sie gerade mit 2,6 % eines Besseren belehrt wird.

Ich teile nicht ganz Frau Guérots freilich etwas gedämpften Enthusiasmus für Europa und die bürgerliche Demokratie; eher schon, auch wenn etwas verkürzt, die Meinung von Bucharin, den sie zitiert, und den ich hier etwas abwandle: Sitzt die Bourgeoisie fest im Sattel, macht sie Demokratie, sonst Faschismus. Und seit der Finanzkrise rumpelt es. Immerhin, das Ziel, die Superreichen noch reicher zu machen, wurde in den letzten zwei Jahren mehr als übertroffen. Ist der letzte SPD-Parteitag auch von Pfizer (es graut ihnen vor nichts) gesponsert worden, dürfte der nächste durch die Hilfe der Rüstungsindustrie bzw. des militärisch-industriellen Komplexes auch schon gesichert sein.

Ein intelligentes und mutiges Buch. - Übrigens bin ich auf Frau Guérot durch PUNKT.PRERADOVIC aufmerksam geworden, wo man ein langes, nie langweiliges Interview mit ihr findet. Und dabei sind wir auch schon bei den neuen (oppositionellen) Medien, da die alten nichts mehr taugen. (Keine Geld/Gebühren für die alten!).

Die bürgerlichen Medien haben ihr neues Thema gefunden: den Krieg, und wenig spricht dafür, dass sie die nächste Zeit nutzen würden, sich zu besinnen: Die Zeiten werden ihnen Anlass für neue Größe geben; nur ein Karl Kraus fehlt, aber wir haben andere, von denen sich lernen und sehen lässt.

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PS: Nachdem es die Cancel-Culture nun auf den Buchstaben Z abgesehen hat, wird unser Alphabet wohl um einen Buchstaben geschrumpft. Wir haben ja noch gut zwei Dutzend, nicht so viele wie die Chinesen, aber es wird schon gehen. Nur was wird auf meinem Helden Z (= Zorro) und was machen die Autofahrer aus Zwickau?

„Aber die Dialektik ist unter anderem auch die Gestalt des Denkens, in der man nicht nur wegen Atemnot, sondern wesensmäßig nie alles auf einmal sagen kann.“ Adorno. Hier ist nun aber genug gesagt.

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Literatur

Guérot, Ulrike: Wer schweigt, stimmt zu. Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollen. Westend 2022, 140 S.

Lessing, Theodor : Haarmann: Die Geschichte eines Werwolfs. Hrsg. von Rainer Marwedel. Frankfurt/M. 1989, 313 S.

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