Über den Zusammenhang von Ideologieproduktion und Akkumulation des Kapitals
Man kann diesen Beitrag kaum überschätzen, da er den Finger auf den entscheidenden Punkt legt: die Akkumulation des Kapitals bzw. dessen Krisenhaftigkeit. Das erinnert an oder aktualisiert das Thema des tendenziellen Falls der Profitrate, wenn das Schwergewicht auf dem Finanzkapitalismus liegt, also einem Versuch dem Problem auszuweichen bzw. es in die Zukunft zu verschieben.
Wie im Vorwort von Wolfram Elsner betont, ist der Text von Fabio Vighi keine Einführung bzw. Erklärung der Produkte und Produktentwicklung des aktuellen Finanzkapitalismus, zumal es sich um kürzere selbständige Beiträge handelt, kein strukturiertes Werk wie die thematisch entsprechenden Werke von Hilferding, Luxemburg, Lenin usw.
Der Autor schreibt durchaus etwas salopp, und als moderner Professor für Kritische Theorie liegen seine Beispiele und Metaphern im Gegensatz zu seinen Vorgängern weniger im Bereich der Hochkultur als in dem der sogen. populären Kultur. Wenn ich auch der Meinung bin, dass in der Übertreibung die Wahrheit liegt bzw. deutlich wird (werden kann), schießt mir der Autor doch mitunter übers Ziel hinaus. Untergangsprognosen sind schwer, erst hinterher, sofern wir das noch erleben, werden sie bestätigt. Aber, dass die Uhr eher 5 nach 12 als 5 davor ist, wer wollte das bestreiten?
Ohne politische Ökonomie, und das ist der große Gewinn, ist alles nichts, auch die Kulturkritik beruht darauf, muss darauf beruhen, auch wenn sie durchaus ihr Terrain und relative Unabhängigkeit in den verschiedenen Formen des Klassenkampfes behaupten sollte.
Besonders erhellend der Zusammenhang der Säue, die durchs Dorf getrieben werden: die Corona- und Putin-Dämonisierung, der ein intellektuelles Versagen der Linksliberalen und sogen. Linken entspricht, das bis heute anhält. Besonders die »grüne« Verzichtsideologie, die nun in den kriegsbestimmten Verzicht (frieren, weniger waschen usw.) übergeht oder sich ergänzt, das neue Mantra der neoliberalen Gesellschaft, besticht und wer kennt das nicht aus der eigenen Umgebung?
»Die konsumorientierte Ideologie, die den modernen Kapitalismus antreibt, wird bereits durch die Aufforderung ersetzt, ‚sich daran zu erfreuen, nicht zu haben‛. (…) Was sich hier verändert, ist das Verhältnis des Subjekts zum Nichts: Wenn im Konsumkapitalismus ‚Nichts‛ als ‚Mehr‛ getarnt wird (da die kapitalistische Logik des Begehrens darauf beruht, nie genug davon zu haben), wird im neofeudalen Kapitalismus ‚Mehr‛ als ‚Nichts‛ verkauft, d.h. d.h. als quasi-religiöse Bindung an den Verzicht.«
Verloren, schon bei Corona, ist alle Vernunft und die dazugehörigen Maßstäbe:
»Für den rassistischen Westen ist das Leben der Palästinenser nichts wert. Wir sollen uns nicht um die ethnische Säuberung der Armen und Unterdrückten kümmern. Die reichen Unterdrücker hingegen werden jeden Tag in unseren liberalen Medien eingeladen, um die Gründe für ihre Massaker zu erläutern. (…) Wenn die Zerstörung von Gaza das schlimmste Massaker an Zivilisten in jüngster Zeit ist, dann wird in London ein Achtjähriger von der Schule suspendiert, weil er ein Palästinensertuch trägt, um seinen Verwandten zu gedenken, die unter israelischen Bomben starben.«
Also man sollte bitte den Autor studieren, aber da die Texte eher thesenartig sind, und die Vermittlung (Dialektik) notgedrungen etwas zu kurz kommt, auch nicht als der Weisheit letzter Schluss betrachten. Sie weisen auf bisher vernachlässigte, elementare Zusammenhänge, die unbedingt in eine aktuelle Gesellschaftskritik integriert werden müssen, anders gesagt, zum Fundament gehören, auch wenn man sich von Blitzgewitter der neuesten Finanzprodukte nicht blenden lassen sollte.
Unbedingt wünscht man sich mehr davon, und, wenn man an andere Kritiker des Finanzkapitalismus bzw. des Monopolkapitalismus denkt (siehe oben), mehr Vermittlung mit z.B. verschiedenen Kapitalfraktionen und deren Politik (Klassenanalyse), wie sie auch für eine Faschismusanalyse notwendig ist. (siehe z.B.: Sorge, Richard: Der neue deutsche Imperialismus. Mit einem Vorwort von Jürgen Kuczynski. Dietz Berlin 1988)
PS: Es hätte nicht geschadet, die Broschüre nochmals Korrektur zu lesen. Das Sprichwort »Wenn alles andere fehlschlägt, ziehen sie in den Krieg.« kannte ich nicht. Eine Drohung natürlich.
Fabio Vighi: Notfallkapitalismus. Texte zur politischen Ökonomie des in Agonie befindlichen ‚senilen Kapitalismus‛. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Wolfram Elsner, pad-Verlag 2024, 98 S.