Die letzten Tage der Oper. Hrsg. von Denise Wendel-Poray, Gert Korentschnig und Christian Kircher. Skira Verl., 2022
Für ihre unschätzbare Unterstützung danken wir
Österreichische Bundestheater, Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, Sinnova Holding*, Roland Schmidt Riehl & Partner.
„Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht, zernichten der Heuchler erschlichene Macht“. Zauberflöte.
Ich habe mich vom Titel dieses Buches blenden lassen, das war mein Fehler. Statt mit einer Abrechnung der Opernwelt haben wir es im Gegenteil mit einer Art optimistischer Festschrift der daran Beteiligten und Profitierenden zu tun. Ziel war aus Anlass des Direktionswechsels an der Wiener Staatsoper eine Bestandsaufnahme des Genres durch "Opernfreunde" zu leisten. Übrigens verhindert schon die Schriftgröße (winzig) eine schmerzfreie Lektüre.
Beim Vorwort kommt Karl Kraus und der Titel des Buches nicht vor. Dafür eine Zeile aus Monteverdis L'Orfeo: La speranza (Die Hoffnung): Nun sind ein großes Herz und schöner Gesang erforderlich.
Da hat Herr Korentschnig doch ein wenig das Gewissen gezwickt, und nach dem humorigen, lautsprachlich ähnlichen Oper und Opa kommt er nun doch noch auf Kraus, da unsere gesellschaftliche Situation mit ihren Machtverschiebungen, Populisten, Kriegstreibern (Wer ist hier gemeint?), Revanchisten und Aggressoren an die 1920er Jahre erinnern, "an eine Zeitenwende (...), die der österreichische Autor so genial in seinem Werk 'Die letzten Tage der Menschheit' beschrieb".
Nun spielt das Werk vor der Zeitwende, im ersten Weltkrieg, eine Zeit, die eher auch mit heute zu vergleichen ist. Nun wird eine (formale) Nähe zu Kraus festgestellt, da dieser Essayband 100 Jahre später erscheint. Das nenne ich schamlos, und eine Leichenschändung, wie sich hier an das Werk von Kraus rangewanzt wird, das nun mit dem von Kraus rein gar nichts zu tun hat!
Was Kraus zu seiner Opernwelt schrieb, bitte nachlesen. „In der Pause, wo noch hin und wieder ein »Doll!« nachröchelte, saß alles tief erschöpft da und sie waren, soweit sie zu sich kommen konnten, teils der Meinung, daß es dynamisch, teils daß es dionysisch gewesen sei, wobei die Wahrheit wie immer in der Mitte lag, nämlich daß es dynamusisch war.“
"Dass also nicht nur entscheidend ist, dass es weiter geht, sondern auch wie." War das nicht in anderem Zusammenhang, aber auch hier passend: die schlimmste Drohung, dass es so weiter geht, wie auch immer? "Aber wie heißt es doch im 'Rosenkavalier'? 'Und in dem Wie, da liegt der ganze Unterschied.'" Da fällt uns doch nicht nur wegen des Farbenrausches in Bayreuth, Dank an Hermann Nitsch und seine Walküre, doch noch ein: Walter Hasenclever: „Die Mörder sitzen in der Oper“, genauer gesagt im Rosenkavalier...
Aber es braucht noch eine zweite Einleitung, damit die Peinlichkeit mit Kraus nicht so stehen bleibt. Frau Denise Wendel-Poray zitiert nun, damit wir vermuten dürfen, sie hätte ihn gelesen, da sind wir bei den anderen nicht so sicher, den Optimisten und den Nörgler. Warum zu den "Gerüchten" ist mir unklar, aber immerhin der Versuch von dessen Aktualisierung. Aber heute doch eher: "die Ungewissheit", die es bei Kraus nicht gab, und dann schnell zu Serebrennikow, dessen Parsifal und Putins Diktatur. Also, auch diese Dame hat Kraus nicht gelesen, nicht verstanden.
Nun habe ich das Weiterlesen vorläufig eingestellt, mit diesen Einleitungen ist man schon bedient.
Das Problem der Oper war und ist, sie ist nicht systemrelevant. Das ist die schmerzvolle Erkenntnis nach den Maßnahmen. Und nun wird Kraus endgültig entsorgt, statt das als Gewinn zu betrachten: nicht systemrelevant. Aber sie wollen halt mitmachen und machen mit.
"Vereint sich die lösende Wirkung der Musik mit einer verantwortungslosen Heiterkeit, die in diesem Wirrsal ein Bild unserer realen Verkehrtheiten ahnen läßt, so erweist sie die Operette als die einzige dramatische Form, die den theatralischen Möglichkeiten vollkommen angemessen ist."
Die vielen Autoren auf den vielen Seiten (487) dienen dazu, und das behaupte ich, ohne sie gelesen zu haben, der Oper jene Relevanz einzublasen, damit sie beim nächsten Mal "systemrelevant" sein wird. Und das ist mit Kraus und dem unmaßgeblichen Schreiber dieser Zeilen, das Schlimmste, was man der Oper antun kann. Insofern sind die letzten Tage der Oper doch schon vorbei. Was bleibt?
Das Gedicht von Hasenclever ist Karl Liebknecht gewidmet.
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* Die möchten mit Geld die Welt verbessern. Wer ist hier Teufel und wer Beelzebub? Und wer treibt hier wen aus oder auch ab?
PS: Wird vielleicht fortgesetzt.