Frau Wagenknecht und Frau Liu
Marietta: Oh nein!
Der Wirt: Oh doch!
Giletti: Oh nein!
Der Kellner: Oh doch!
Giletti: Was wollen denn die da?*
Wie ich schon schrieb, und man an verschiedenen Orten nachlesen kann, auch schon von mir prognostiziert, geht es mit dem "nd" bergab. Nun geben sie alles, um das zu verhindern, ein bisschen vielleicht auch nach in Richtung dessen, was man (früher) so als links verstehen konnte. Ich sehe eines der ersten Ausgaben des online-nd, das nicht mit kreuz und queer aufwartet. Ersatzweise gibt es was zur Knolle Knoblauch, ansonsten aber bemüht man sich redlich.
Wird das aber reichen, oder ist es schon zu spät? Schwer, sein Lesepublikum jede Dekade (ungefähr) auszuwechseln. Die Falle, in der die "Linke" sitzt, ist auch eine des nd, sie werden entweder zusammen rauskommen oder auch nicht. Ich vermute letzteres. Man soll Wahlen nicht überbewerten, aber wenn die Serie der dramatischen Niederlagen beginnt bzw. fortsetzt, und sie aus den Parlamenten fliegen und ihre warmen Sesselchen räumen müssen, dann wird man klarer sehen.
Nun, Sahra Wagenknechts "Selbstgerechte" lieferte schon früher Hinweise. Übrigens habe ich bei ihren "linken" Kritikern selten bemerkt, dass sie auf die Grundlage ihrer Argumentation eingehen: Thomas Piketty: Kapital und Ideologie. Mit der Lesekultur nimmt es eben nicht nur bei den Jungen ab.
"Seit den amerikanischen Präsidentenwahlen von 2016 sind es erstmals nicht allein die Hochgebildeten, sondern auch die Besserverdienenden, die eher demokratisch als republikanisch gewählt haben. Damit hat sich die Sozialstruktur der Wählerschaft gegenüber den 1950er und 1960er Jahren völlig umgekehrt."
Zwar heißt auch bei uns die SPD noch so, aber welcher (halbwegs klassenbewusste) Arbeiter wählt die noch, die Dollar-Grünen sowieso nicht, und die Linke nicht mehr.
Nun bekommt Frau Wagenknecht Unterstützung aus den USA, ohne dass sie dort erwähnt wird. Cathrine Liu ist eine, die man bei uns auch mit der Lupe im akademischen Bereich kaum mehr finden wird: Professorin, Kulturwissenschaftlerin, Sozialistin und hat über Kritische Theorie, Populismus, Anti-Intellektualismus, Psychoanalyse, Klassenbildung und Marxismus geschrieben. Das wäre schon ein Grund sich für das kleine Buch zu interessieren. Darin tauchen dann spannende Autoren auf wie Kracauer, Adorno u.a. (Dass heutige dt. Soziologen und Publizisten in ein paar Jahren in den USA Erwähnung finden, muss man hingegen nicht befürchten.)
Ihr Thema sind allerdings auf die USA bezogen, die dortigen "Grünen", d.h. das demokratische Establishment. Obama und Frau Clinton nehmen einen prominenten Platz ein. Es geht, sagen wir es einfach, um die neue Ideologie einer rel. neuen Klasse, die sich v.a. in Universitäten, Stiftungen., Bildungseinrichtungen, Verlagen, Medien usw. breit gemacht hat, und als das früher so genannte Kleinbürgertum die Ideologie liefert, dass sich alles ändert, dabei aber so, dass es bleibt, wie es ist: Der Spätkapitalismus oder auch Neoliberalismus.
Interessant ist freilich, dass die frühere Kommunistin Wagenknecht noch mit der (veränderten) politischen Ökonomie argumentiert, Frau Liu eher auf der kulturwissenschaftlichen und ideologischen Ebene, mit vielen schönen Beispiel freilich.
Das Schlusswort von Frau Liu lautet: "Wenn wir den Kapitalismus als Feind des Volkes bezeichnen, müssen wir auch den eifrigsten Höfling und Kriecher unseres Feindes benennen: die Klasse der professionellen Manager, die PMC."
Mit PMC ist die "Professional Managerial Class" gemeint, deren "Wohnort" ich oben beschrieben habe.
Noch anders formuliert: Wir brauchen eine sozialistische Politik, die sich auf das Volk und die Arbeiterklasse stützt und jene unterdrückte Dialektik in Gang bringt, die Voraussetzung für Klassenbewusstsein und eine entsprechende Praxis sind. - Sisyphos Stein ist nichts gegen den, den wir zu wälzen haben, immerhin gibt es kleine Stöße, und dazu zähle ich dieses Büchlein, die in die richtige Richtung zielen, auch wenn die wirklichen Schritte noch auf sich warten lassen.
Der Krieg gegen den Krieg, gegen Aufrüstung und Massenverelendung wären die ersten, aber dazu muss man seine geistigen Fesseln ablegen und erkennen, wo die Heuchler hausen.
Catherine Liu: Die Tugendpächter. Wie sich eine neue Klasse mit Moral tarnt und Solidarität verrät, Westend Verlag, 2023, 128 Seiten, 18,00 Euro
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* Madame L'Archiduc, Operette von Jaqcues Offenbach. in: Karl Kraus: Theater der Dichtung.
oder aus aktuellem Anlass, derselbe:
"Die einzige Konsequenz, deren der hiesige Menschenschlag, geschaffen, durch Schaden dumm zu werden, doch fähig ist, ist die, ihn noch einmal zu erfahren."