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Koeppen, seine Tauben und der Rassismus-Unterricht

Veröffentlicht am 08.07.2023

junge Welt vom 7.7.23

https://www.jungewelt.de/artikel/454281.schulkanon-ganz-realer-rassismus-heute.html

 

Frau Rettenmaier erwidert Herrn Grumbach in der "jungen Welt" vom 7.7.23. Ihr Thema: der ganz reale Rassismus heute. Also die Verwendung von Wolfgang Koeppens Roman im Schulunterricht.

 

Dieser Roman ist in Baden-Württemberg Teil des Schulunterrichts mit dem Ziel, das Thema Rassismus zu behandeln. So weit so gut. Wie das Thema im Schulunterricht behandelt wird, entscheidet freilich nicht der Roman, sondern die Lehrer und der Lehrplan.

Aber, jetzt kommt die Demokratie in BW, haben doch schon über 12.000 Menschen eine Petition unterzeichnet, die den Roman nicht mehr als Pflichtlektüre möchte. (Zu meiner Zeit hätte ich gerne gegen "Werther" unterschrieben, der meine Leiden deutlich vermehrte!)

"Sie fordern für Nicht-Weiße Menschen das Recht, sich aussuchen zu können, ob sie sich mit sprachlichen Verletzungen konfrontieren wollen." Nun ist nicht einzusehen, warum nur Nicht-Weiße das Recht bekommen sollen, ihre Lektüre auszusuchen, sondern dann aber auch, lassen wir die bemühten 10-0,.. % Gruppen weg, warum nicht auch Frauen, Kinder aus der Arbeiterklasse oder auch, wir leben ja in einer Demokratie, Kinder aus der Aristokratie oder dem Großbürgertum?

 

Nun analysiert sie den Roman kurz und schmerzlos: "Der Roman reproduziert rassistische Strukturen und Bewusstseinslagen mehr als sie zu analysieren. Er bietet wenig Anknüpfungspunkte für die heutigen Schülerinnen in deutschen Schulen und insbesondere keine Stärkung von Betroffenen und keine Anregungen zum Widerstand."

 

Nun wäre die Aufgabe, hier wird Roman mit Unterricht verwechselt, eben diesen Roman so zu analysieren. Frau Rettenmaier verwechselt auch hier, das was ein Roman ist mit ihrer Wunschvorstellung, die irgendwo zwischen "wokem Idealismus" und Kinderbuch angesiedelt ist. Wo ist der positive Held, der auf der richtigen Seite steht und mit happy-end bitte?

 

Nun behandelt sie lange die Situation in unseren Berufsschulen, es soll eine Art umgekehrtes Echo geben, also einen Roman, der genau ihre Situation reflektiert - in pädagogischer Absicht. Nun, darauf hin kann man ca. 80 % unserer Literatur und unseres kulturellen Erbes streichen. (Umgekehrt könnte man fragen, was in dieser Literatur das humanistische Erbe ist, das über die Gegenwart hinaus weist?!)

 

Keine Frage, dass z.B. schwarze Jugendliche hier Anfeindungen bis Bedrohungen ausgesetzt sind, ob das für Obamas Kinder auch gilt, und wie, steht auf einem anderen Blatt. Aber ja, hier wird etwas verwechselt, wenn es um Traumatisierung und Retraumatisierung geht, ist dafür nicht die Literatur zuständig, sondern, wenn es die gebe, eine (nicht-rassistische) Polizei und der Psychoanalytiker. Wenn auf einer anderen Ebene schlechte Erfahrungen kein Gegenstand des Unterrichts sein können, sondern nur noch in separaten Gruppen, ist kaum noch ein Gemeinschaftsunterricht denkbar. (Wie man von den Mädchen weiß auch nicht in Mathematik). Wieder: sind keine Lehrer mehr denkbar, die das Problem angehen?

 

Hier nicht viel zu Klischees: Sollten die in der Wirklichkeit keine Basis haben, sind es keine. Auch hier kommt es auf den Kontext an, beschreiben diese (auch) eine Wirklichkeit, sind sie Stilmittel oder Kitsch? Man kann aus schlechten Theaterstücken manchmal mehr lernen als aus guten. Für einen guten Literaturlehrer mag das auch für Literatur gelten, die nicht in der Spitzengruppen der Betroffenheiten rangiert. Immer wird hier eine bestimmte Rezeptionshaltung imaginiert, deren negative Prämissen der Roman dann verstärkt. Einsame Lektüre, keine Freunde, keine Lehrer in Sicht?

 

Wenn die Lehrerin Jasmin Blunt lieber unbezahlten(!) Urlaub nimmt, weil sie das Buch als brutalen(!) Angriff auf ihre Menschenwürde bezeichnet, nun dann kennt sie keine "gute" Literatur und auch sonst recht wenig. Wir haben hier ein Muster einer Skandalisierung vor uns, nicht unbekannt.

 

"Sprache prägt unser Denken und Wahrnehmen und weist Menschen einen Platz in der Gesellschaft zu." Das ist idealistisches Denken, vom Kopf auf die Füße gestellt, wären die gesellschaftlichen Verhältnisse zu analysieren, aber da schweigt frau vornehm.

 

Ich kann die Kompetenz der Lehrer heute nicht beurteilen, aber wenn sie überfordert sind mit diesem Roman, wie soll das dann mit dem Rest des Kanons weiter gehen, ich denke da an Goethe bis Brecht. Freilich ist das Kultusministerium in BW noch nie besonders positiv aufgefallen, erinnert sich noch jemand an Gerhard Mayer-Vorfelder? Und nun heute? Aber wir schweifen ab.

 

"Es ist unangemessen, von Lehrkräften und Schülern zu erwarten, eine komplexe Sprachanalyse vorzunehmen und in allen Details rassismuskritische Positionen dagegenzustellen." Ich schlage deshalb vor, wir beenden den Literaturunterricht mit Koeppen und wenden uns Herrn Habecks Kinderbüchern zu. Nur gegen Missverständnisse: Natürlich muss der Kanon vielfältig sein und neuere Literatur einschließen, aber das ist nicht das Thema hier.

 

Davor noch ein letztes: Was ist links?

"Frauen treten heute selbstbewusster für ihre Interessen ein. LGBTQ-Personen ebenso wie von Rassismus Betroffene haben begonnen, sich zu organisieren und öffentlich aufzutreten. Sie alle sind nicht mehr bereit, als »Nebenwiderspruch« in eine linke Bewegung einzutreten und ihre Anliegen unterzuordnen." Den ersten Satz hätte ich anders formuliert, ja, eine sozialistisch/kommunistische Bewegung, in der die Minderheiten nicht mehr bereit sind, ihr Anliegen ein- und unterzuordnen, für die gemeinsame Sache* - ist keine, und wird enden wie die sogen. "Linke".

Seit der Arbeitgeberpräsidenten groß seinen Schauspielerfreund (ein echtes Grucical, StZ* vom 11.3.) geheiratet hat, ist das Thema für mich kein linkes mehr. Und wenn Frau Wagenknecht eine Partei gründet, werde ich nur mitmachen, wenn es keinen christlich-jüdisch-muslimischen Arbeitskreis und auch keinen schwul-lesbisch-queeren mehr gibt, sondern einen Arbeitskreis, der sich mit Marx und Freud und den Folgen beschäftigt.

 

Zum Schluss: Wo der Feind steht, ist eine gute Frage, da die herrschende Ideologie in einer nie dagewesenen Weise (Corona, Ukraine) Eingang in die Köpfe der Masse der Menschen gefunden hat, daraus ein Klassenbewusstsein zu formen, wird nicht im save-space möglich, und in der Schule noch weniger sein. D.h. nur wenn man das Glück hat, einen guten Lehrer zu finden...

 

* Die Emanzipation des Menschen als Menschen! (Natürlich kann man diese Sache auch missbrauchen, das war lange Zeit der Fall, aber das spricht nicht gegen unsere gute Sache, und wir haben hoffentlich gelernt?!

* StZ: Neues vom Investigativjournalismus: Herr(?) Glööckler stellt fest: Er ist Single, und nicht mit dem jungen CDU-Politiker Lehmann verheiratet, auch wenn der ein wichtiger Mensch(!) in seinem Leben sei. (StZ von 12.7.)

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