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Winterurlaub mit einem Hans Dampf

Veröffentlicht am 08.03.2023

Doch es gibt noch Winterurlaub mit Schnee, auch wenn Winterurlaub seltsam nach Fronturlaub inzwischen klingt. Urlaub von der Heimatfront. Südtirol ist zwar historisch auch kein ganz unvorbelasteter Ort, aber man spricht deutsch, das macht doch vieles leichter.

Man kann im Urlaub nicht nur in eine schöne Landschaft eintauchen, muss das ja nicht Waldbaden nennen, sondern auch in die Welt des Frühkapitalismus, als Männer noch Männer und ihre Unternehmen noch ganz ihre waren, ganz individuelles Werk des Patriarchen.

Wir tauchen ein in eine Welt, in der es, zumindest der Erzählung nach, noch vor kurzem Selbstjustiz gab, die freilich anders genannt wurde. Hat da ein Kerl die falsche Frau befingert, so erwartete ihn vor der Kneipe sein blaues Wunder, und der Erzählung nach soll er nie wieder… Solche Geschichten bekommt man als Ausgleich für einen etwas lauwarmen Weißwein bei der Weinprobe serviert, freilich erst nach dem 3. oder 4. Glas. Diese findet im Foyer des Hotels statt, der Hausherr macht sie selber, wie vieles andere auch, und kommt dabei so richtig ins Plaudern: über zu hohe Steuern und geringe Energiekosten (Holzheizung) usw. In diesem Hotel, das er geschaffen hat, ist alles Bio, sogar die Wände werden beheizt, was nun freilich die Einflussmöglichkeiten auf die Zimmertemperatur verringert, aber erfreulicherweise war es eher zu warm als umgekehrt. (Das lässt sich von den wenigsten Hotels noch sagen.)

Die obige Erzählung ist selber schon Verfallsgeschichte, da früher nach der Kirche die Frauen nach Hause gingen um zu kochen, die Männer tranken ein bisschen und wenn es die Gelegenheit wollte, fiel man übereinander her, und kehrte erst gegen Abend nach Hause zum dann vermutlich kalten Abendessen zurück.

Es gibt in diesem Hotel geführte Schneewanderungen, man wird mit Jeeps zum Ausgangspunkt gefahren und wieder zurück, die „lonely crowd“ stapft hintereinander durch den tiefen Schnee, ein schönes Bild und ein Erlebnis. Auch die Saunalandschaft und der Pool sind auf die vereinzelte Mittelschicht, die aus Paaren unterschiedlichstem Geschlecht besteht, das gehört zu Bio, ausgerichtet, die kleinen Saunen und Dampfbäder sind gerade für 2-4 Personen gedacht, aber da es mehrere gibt, kommt man sich nicht ins Ausgeschwitzte.

Die Begrüßung für Neuankömmlinge im Hotel besteht aus einem Konzert, das der Hausherr mit Ziehharmonika und Posaune und einer Harfe spielenden Tochter gibt. Und Freigetränke (Plural!). Dann noch kurz zu dem vielfältigen Unterhaltungsprogramm. Wir nutzen noch das kostenlose Qigong-Angebot mit einer Chinesin, die aus jener Provinz ausgewandert ist, in der das Shaolin-Kloster stand und steht. Leider nur die Dame und ich wurden im Schnelldurchlauf in den 8 Brokaten unterwiesen. Übrigens macht auch unser Meister aller Klassen, der König von Lüsen, Qigong, darauf haben wir aber verzichtet, vermutlich hat er es bei seiner Angestellten gelernt?

Die 5 Gänge am Abend mundeten durchaus unterschiedlich, vom Knödelgang haben wir dann lieber abgesehen, das machte der Fleisch- oder Fischgang, Salatbuffet oder einmal eine Orgie in süßem Nachtisch wieder wett; der Käse eher farblos.

Was ich grundsätzlich ablehne, sind Bewegungsmelder auf Hoteltoiletten, v.a. wenn diese im fensterlosen Keller sind, hier ist der Fortschritt aber schon weiter in die Zimmertoilette eingedrungen.

Die Haus-Musik, mit der wir auch zweimal abends beglückt wurden, ist wohl eine Art Volksmusik, einmal von zwei älteren Herren, die deutlich über der Pensionsgrenze rangieren, aber noch heiter musikalisch auf historischen oder historisierenden Instrumenten glänzten. Musikalische Essensbegleitung kann man nun ja nicht entweichen. Und geben uns ein schönes Beispiel, dass man auch im Alter noch so schön arbeiten kann und nützlich ist!

Nun, bei der Weinprobe wurde unser Hausherr immer redseliger, und machte aus seinem Herzen keine Mördergrube, auch wenn man bei dem Bourgeois nie weiß, was da drin liegt. Sicher sollten da jene Jugendlichen, die vom Staat leben und nicht von ihrer Arbeit, liegen – und manche staatliche Verwaltungen, die ihm das Leben schwer machen. Wo alles Bio ist, d.h. Grün, muss man nicht lange graben bis die braune Erde (die kann nichts für diese schiefe Metapher) hervortritt. So landeten wir bei Frau Meloni, die nicht so schlimm wie die AfD sei, und die schon manches Gute angepackt habe... Was, erfuhren wir dann nicht mehr, da ich lieber zum Abendessen wollte.

Wir lernten noch, dass es eine App gibt, mit der man das Etikett einer Weinflasche scannen kann und dann den Marktpreis einer Flasche erfährt. (So muss die abstürzende Mittelschicht das Rechnen lernen, Zuhause werden die Weinpreise schon wieder gestiegen sein!)

Ich verzichte auf diese App, sage aber aus der Erfahrung unseres nächsten Hotels, dass es gut ist, wenn man nicht alles, die Rechnung, blind unterschreibt.

Auch in der Fremde gibt es das Internet, das an das erinnert, was vor langer Zeit Rosa Luxemburg über die ukrainische Kultur schrieb. Dass wir deren trüb-chauvinistischen Versuche mit Preisen bewerfen, nun ja, so sind die Intellektuellen (TUI nannte die Brecht) nun mal. Dass aber die von der jungen Welt (10.2.) so genannten „Bizarren Bandera-Bräute“ auf dem Brecht Festival in Augsburg auftreten, das lässt mich doch überlegen, ob ich in dieses Land zurückfahren möchte, wo der Kriegsfuror immer hemmungsloser wütet, und alle Kultur keine mehr ist oder blau-gelb angestrichen, weil nur noch Sedativ (oder Palliativ?) der herrschenden Klasse, die die Regierung ziemlich direkt, wie auch immer, übernommen hat. (Ein Indikator dafür, und dem Zustand der Demokratie, dürfte die Profitrate der Kriegsindustrie sein.)

Zukünftige Verschwörungstheorien werden uns eines Tages unsere Vergangenheit erklären. -„Neutralität“ möchte ich meinen Wein verkostenden Urlaubern erklären, ist „eine politische Entscheidung für die offizielle Politik“*. Wir erholen uns für die Heimatfront.

 

* Stephen Greenblatt: Schmutzige Riten. Betrachtungen zwischen den Weltbildern. Wagenbach 1991

 

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